Artikel-Informationen
erstellt am:
28.09.2018
Ansprechpartner/in:
Herr Karl-Heinz Ahrens
Verwaltungsgericht Oldenburg
Pressesprecher
Schloßplatz 10
26122 Oldenburg
Tel: 0441 220-6026
Die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Oldenburg hat mit Urteil vom 27. September 2018 (Az.: 3 A 3012/16) einer Klage stattgegeben, mit dem der Kläger die Feststellung begehrte, dass die am 13. Mai 2016 erfolgte Aufhebung des für die Überlassung eines Vortragssaals im Oldenburger Kulturzentrum PFL für die Durchführung der Veranstaltung „‚BDS - die palästinensische Menschenrechtskampagne stellt sich vor‘ - Vortrag“ am 18. Mai 2016 vorausgesetzten Zulassungsverwaltungsakts vom 9. Mai 2016 rechtswidrig war.
Der Kläger begehrte mit E-Mail vom 15. April 2016 (für die „BDS Initiative Oldenburg“) die Überlassung eines Vortragsraums im städtischen Kulturzentrum PFL der Beklagten und damit auch die Zulassung zu dieser Einrichtung. Redner sei der israelische Menschenrechtsaktivist Ronny Barkan. Nach weiterem Schriftverkehr bestätigte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 9. Mai 2016 die Raumreservierung im Kulturzentrum PFL für den 18. Mai 2016. Im „Überlassungsvertrag“ heißt es sinngemäß u.a., der Veranstalterin/dem Veranstalter werde der Vortragssaal für die Veranstaltung „BDS - die palästinensische Menschenrechtskampagne stellt sich vor (Vortrag)“ überlassen.
Nach dem Erhalt einiger E-Mails Dritter mit kritischem Inhalt bezüglich der Entscheidung der Beklagten teilte diese dem Kläger mit einem per E-Mail übersandten Schreiben vom 13. Mai 2016 mit, sie trete von dem mit ihm abgeschlossenen „Überlassungsvertrag“ vom 9. Mai 2016 für den Vortragssaal im Kulturzentrum PFL zurück. Den Antrag des Klägers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vom 17. Mai 2016 lehnte das Verwaltungsgericht Oldenburg mit Beschluss vom 18. Mai 2016 ab (3 B 2172/16).
Am 17. Juni 2016 erhob der Kläger Klage. Da die Beklagte der Auffassung war, bei der vom Kläger erhobenen Klage handele es sich um eine zivilrechtliche Streitigkeit, weil die Nutzung des Vortragssaals im städtischen Kulturzentrum PFL lediglich durch den Abschluss eines Überlassungsvertrags vergeben worden sei, und sie deshalb die Zulässigkeit des beschrittenen Verwaltungsrechtswegs rügte, beschloss die Kammer am 22. Mai 2017, der Verwaltungsrechtsweg werde für zulässig erklärt. In dem Beschluss heißt es u.a., das Gericht sei der Auffassung, dass die „Überlassung“ von Veranstaltungsräumen im städtischen Kulturzentrum PFL nicht ausschließlich privatrechtlich geregelt werde, sondern dies nur für die Nutzung der Einrichtung gelte und die Zulassung zu dieser vom Erlass eines Verwaltungsakts abhängig gemacht werde, der - wie hier - grundsätzlich konkludent erlassen werde. Die dagegen von der Beklagten erhobene Beschwerde wurde vom Nds. Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 11. September 2017 zurückgewiesen (10 OB 51/17).
Obwohl der Vorgang durch Zeitablauf erledigt war, war die vom Kläger erhobene Klage zulässig. Insbesondere war das erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse gegeben. Neben den anerkannten Fallgruppen ist in den Fällen, in denen sich das Anliegen eines Betroffenen in der bloßen Klärung der Rechtmäßigkeit des erledigten Verwaltungsakts erschöpft, ein Feststellungsinteresse nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) zu bejahen, wenn andernfalls kein wirksamer Rechtsschutz gegen schwerwiegende Eingriffe in Grundrechte und Grundfreiheiten zu erlangen wäre. Davon ist nur bei Maßnahmen auszugehen, die sich typischerweise so kurzfristig erledigen, dass sie ohne die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses regelmäßig keiner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnten. Maßgebend ist dabei, ob die kurzfristige, eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage ausschließende Erledigung sich aus der Eigenart des Verwaltungsakts selbst ergibt.
In versammlungsrechtlichen Verfahren sind die Anforderungen, die bei einer insoweit als Hauptsacherechtsbehelf in Betracht kommenden Fortsetzungsfeststellungsklage für die Beurteilung des Rechtsschutzinteresses gelten, unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Versammlungsfreiheit anzuwenden. Ein solches Interesse besteht dann, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt, wenn die Gefahr einer Wiederholung besteht oder wenn aus Gründen der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann.
Die Bedeutung der Versammlungsfreiheit in einer Demokratie gebietet stets die Möglichkeit nachträglichen Rechtsschutzes, wenn die Grundrechtsausübung durch ein Versammlungsverbot tatsächlich unterbunden oder die Versammlung aufgelöst worden ist. Derartige Eingriffe sind die schwerste mögliche Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit. Eine weitere Gewichtung eines solchen Grundrechtseingriffs, etwa im Hinblick auf den spezifischen Anlass oder die Größe der Versammlung, ist dem Staat verwehrt.
Diese Anforderungen gelten auch für öffentliche Versammlungen in geschlossenen Räumen. Wegen der Aufhebung des am 9. Mai 2016 konkludent erlassenen Verwaltungsakts, wodurch dem Kläger die Zulassung zum städtischen Kulturzentrum PFL gewährt worden war - dies ist von wesentlicher Bedeutung - und der damit verbundenen Unmöglichkeit der Nutzung des Vortragssaals wurde in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit des Klägers eingegriffen. Denn es ist davon auszugehen, dass die am 18. Mai 2016 geplante Veranstaltung eine Versammlung gewesen wäre. Ein derartiger Eingriff ist eine der schwersten möglichen Beeinträchtigungen der Versammlungsfreiheit.
Darüber hinaus würden die dargestellten Anforderungen entsprechend gelten, wenn man der Ansicht wäre, es würde sich bei der ursprünglich geplanten Veranstaltung des Klägers nicht um eine Versammlung handeln. Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist nämlich als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt. Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist es schlechthin konstituierend. Aus dem oben genannten Grund wurde deshalb (auch) in das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit des Klägers schwerwiegend eingegriffen.
Die Fortsetzungsfeststellungsklage war auch begründet, weil die mit Schreiben vom 13. Mai 2016 konkludent ausgesprochene Aufhebung des Zulassungsverwaltungsakts vom 9. Mai 2016 materiell-rechtlich rechtswidrig war und der Kläger daher in seinen Rechten verletzt wurde. Dem Schreiben vom 13. Mai 2016 lässt sich nicht entnehmen, dass die Beklagte ihr nach den in Betracht kommenden Vorschriften eingeräumtes Ermessen ausübte. Die fehlende Ermessensausübung beruhte zwangsläufig darauf, dass die Beklagte davon ausging, sie könne die Rechtsbeziehung zum Kläger allein dadurch beenden, dass sie auf zivilrechtlicher Ebene vom Vertrag zurücktrete. Sie war sich nicht darüber bewusst, dass sie eine Ermessensentscheidung nach einer öffentlich-rechtlichen Vorschrift zu treffen hatte. Es gab auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass bei der Aufhebung des Zulassungsverwaltungsakts eine Ermessensreduzierung auf Null bestanden hätte, wenn man annimmt, es hätten die tatbestandlichen Voraussetzungen der maßgeblichen Vorschrift vorgelegen. Des Weiteren war es der Beklagten unter dieser Voraussetzung wegen des Ermessensnichtgebrauchs nicht möglich, die fehlende Ermessensausübung durch im Klageverfahren nachgeschobene Ermessenserwägungen zu heilen.
Abschließend ist anzumerken, dass dieses Urteil nicht bedeutet, dass der Kläger künftig ohne Weiteres einen Anspruch auf Zulassung zum städtischen Kulturzentrum PFL besitzt.
Die schriftlichen Urteilsgründe liegen noch nicht vor.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Gegen das Urteil kann bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht die Zulassung der Berufung beantragt werden.
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erstellt am:
28.09.2018
Ansprechpartner/in:
Herr Karl-Heinz Ahrens
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