Orientierungshilfe zur elektronischen Verwaltungsakte "Nicht barrierefrei"
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Anforderungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit an die Führung elektronischer Verwaltungsakten
- eine Orientierungshilfe -
Die Konferenz der Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts sowie der Präsidentinnen und der Präsidenten der Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe der Länder hat die Arbeitsgruppe Elektronische Verwaltungsakte, der Richterinnen und Richter der Verwaltungsgerichtsbarkeit angehören, beauftragt, eine Orientierungshilfe zu den Anforderungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit an die Führung elektronischer Verwaltungsakten zu erstellen. Der von der Arbeitsgruppe gefertigte Bericht (Stand 18.02.2011) wurde von der Konferenz am 11. April 2011 zustimmend zur Kenntnis genommen. Die Orientierungshilfe steht als Download in der rechten Spalte zur Verfügung.
Der Bericht der Arbeitsgruppe lässt sich wie folgt zusammenfassen:
1. Berechtigung zur Führung elektronischer Verwaltungsvorgänge
- Die Führung elektronischer Verwaltungsakten ist grundsätzlich ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung zulässig.
- Die elektronische Aktenführung kann aufgrund spezieller Bestimmungen oder Vorgaben ganz oder teilweise besonderen Bedingungen unterliegen oder ausgeschlossen sein.
2. Funktionale Anforderungen an die Führung elektronischer Verwaltungsvorgänge
- Vollständigkeit
Die elektronische Akte muss mit Blick auf die Anforderungen an eine rechtsstaatliche Aktenführung und die aus dem Gebot der Gewährung effektiven Rechtschutzes folgenden Kontrollfunktion der Akte vollständig sein und den verfassungs- sowie ein¬fachrechtlichen Anforderungen des Datenschutzes genügen. Eine Akte kann neben elektronischen Bestandteilen auch Informationsträger in anderer Form enthalten (sog. Hybridakte). Es ist sicherzustellen, dass bei der Überführung papiergebundener Dokumente in elektronischer Form keine Informationsverluste eintreten.
- Aktenwahrheit und -integrität
Die zur Akte elektronisch gespeicherten Informationen müssen alle entscheidungs-erheblichen Daten zutreffend und unverfälscht wiedergeben. Eine nachträgliche Veränderung der Akte muss grundsätzlich ausgeschlossen sein. Ausnahmen sind detailliert zu regeln. Es muss bereits die Möglichkeit der Manipulation des Aktenbestandes ausgeschlossen sein.
- Aktennachvollziehbarkeit /-Verständlichkeit
Die elektronische Akte muss aus sich heraus verständlich und nachvollziehbar sein. Sie muss auch von dazu berechtigten Dritten gelesen und geprüft werden können. Berechtigten Dritten muss ein Mindestmaß an elektronischer Durchdringung und Bearbeitung ermöglicht werden.
- Aktenverfügbarkeit /-beständigkeit
Zum Aufbewahrungszeitraum nach den archivrechtlichen Regelungen muss der Nutzungszugriff auf die Akte gewährleistet sein. Werden die Verwaltungsakten aufgrund einer Organisationsentscheidung, die in der Regel von der Behördenleitung zu treffen ist, elektronisch geführt, bildet diese Form die "führende" Verwaltungsakte.
3. Medientransfer/ersetzendes Scannen
• Wird ein "elektronisches Aktendoppel" neben der weiterhin maßgeblichen Papierakte geführt, muss aus der elektronischen Akte hervorgehen, dass, wann und durch wen in welchem Verfahren ein eingehendes Papierdokument in die digitale Form überführt worden ist und dass das eingescannte Dokument als Papierdokument an zu bezeichnender Stelle aufbewahrt wird.
• Soll ein Papiereingang in die elektronische Akte überführt werden und "exklusive" Grundlage der Verwaltungstätigkeit werden, empfiehlt es sich, bestimmten Anforderungen Rechnung zu tragen (Nachweis der bildlichen und inhaltlichen vollständigen Übereinstimmung der Wiedergabe auf einem Bildträger mit der schriftlichen Unterlage; erhöhte Beweiswirkung durch die Koppelung der elektronischen Wiedergabe an eine qualifizierte elektronische Signatur; Vernichtung der elektronischen Unterlagen nur, wenn schutzwürdige Interessen der Betroffenen nicht beeinträchtigt werden). Von diesen Anforderungen kann "nach unten" abgewichen werden.
4. Medientransfer bei Altaktenbeständen
• Unproblematisch ist, wenn abgeschlossene Verwaltungsvorgänge ergänzend in elektronische Form überführt werden.
• Einscannen von Altakten, die nach dem Scannen vernichtet werden sollen (ersetzendes Scannen), ist im Bereich der Verwaltung weder ausdrücklich zugelassen noch ausgeschlossen. Es bedarf insoweit einer dokumentierenden Organisationsentscheidung.
5. Übermittlung/Vorlage elektronischer Verwaltungsvorgänge
• Die Pflicht zur Vorlage der Verwaltungsvorgänge auf Verlangen des Gerichts gilt auch für elektronisch geführte Verwaltungsvorgänge bzw. elektronische Teile von Hybridakten.
• Elektronisch geführte Verwaltungsvorgänge dürfen auch in elektronischer Form übermittelt werden. Das Gericht kann die Vorlage der elektronischen Akte in einer Form verlangen, die für das Gericht lesbar und von ihm verarbeitet werden kann.
• Die Entscheidung der Verwaltung, die Verwaltungsvorgänge elektronisch zu führen, löst weder eine "Infrastrukturverantwortung" der Verwaltungsgerichtsbarkeit aus, diese bei Übermittlung auch verarbeiten zu können, noch schränkt es den Spielraum des erkennenden Gerichts ein, die Vorlage der Verwaltungsakte in einer für die richterliche Bearbeitung ohne Weiteres zugänglichen und tauglichen Form zu verlangen. Deshalb kann das Gericht bis auf Weiteres regelmäßig verlangen, dass ihm ein vollständiger Papierausdruck der elektronisch geführten Verwaltungsvorgänge übermittelt wird.
• Es ist gesetzlich nicht schlechthin ausgeschlossen, dass das Gericht sich auch mit einer Übermittlung des Verwaltungsvorgangs in der Weise begnügen kann, dass ihm durch die Verwaltung ein Zugriff auf den Inhalt der bei der Verwaltung geführten elektronischen Akte gewährt wird.
• Eine in elektronischer Form geführte Verwaltungsakte muss bei Übermittlung/Vorlage an das Gericht eine umfassende gerichtliche Kontrolle ermöglichen.
6. Folgen einer den materiellen Anforderungen nicht genügenden elektronischen Aktenführung
Lassen sich wegen einer elektronischen Aktenführung im Einzelfall relevante Tatsachen nicht ermitteln, gelten die Grundsätze der materiellen Beweislast, d. h. die Nichterweislichkeit von Tatsachen geht grundsätzlich zu Lasten desjenigen, der aus diesen günstige Rechtsfolgen für sich ableitet.
Ergänzende Empfehlungen der niedersächsischen Verwaltungsgerichtsbarkeit an Behörden zur Vorlage elektronisch geführter Verwaltungsvorgänge
Eine am Verwaltungsprozess beteiligte Behörde ist nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO verpflichtet, den bei ihr ausschließlich in elektronischer Form geführten Verwaltungsvorgang dem Gericht vorzulegen. Die amtliche Begründung zum EGovG definiert die elektronische Akte als „eine logische Zusammenfassung sachlich zusammengehöriger oder verfahrensgleicher Vorgänge und/oder Dokumente, die alle bearbeitungs- und aktenrelevanten E-Mails, sonstige elektronisch erstellte Unterlagen sowie gescannte Papierdokumente umfasst und so eine Information über die Geschäftsvorfälle eines Sachverhalts ermöglicht".
Die unter Nr. 2. Der Orientierungshilfe beschriebene „Vollständigkeit“ der elektronischen Akte bezieht sich daher auch auf Informationen, die sich in der Papierakte in handschriftlichen Einträgen oder auf Klebezetteln wiederfinden würden: Wiedervorlagedaten, Eingangs- und Ausgangsdaten, Ab-Vermerke, Angaben zu genutzten Kommunikationswegen, Erstellerinformationen - evtl. einschließlich möglicher elektronischer Signaturen etc.
Von den Verwaltungsbehörden in elektronischer Form vorgelegte Verwaltungsvorgänge werden in der Niedersächsischen Verwaltungsgerichtsbarkeit mit einem elektronischen Fachverfahren verarbeitet.
Damit die elektronische Verwaltungsakte durch das Gericht lesbar ist und von ihm verarbeitet werden kann, wird in Ergänzung der von der Bund-Länderkommission erarbeiteten bundesweiten Standards für den Daten- und Dokumentenaustausch nachfolgendes empfohlen:
Fachliche Anforderungen:
Es wird empfohlen, den einheitlichen XJustiz-Strukturdatensatz uebermittlung_schriftgutobjekte (Nachricht des Grunddatensatzes) ab der Version XJustiz 2.1 zu nutzen (vgl. xjustiz.justiz.de, dort unter X Justiz Module). Für die Übermittlung von Dokumenten und Akten (einschließlich elektronischer Empfangsbekenntnisse) wurde im Grunddatensatz (xjustiz_0005_nachrichten_2_y.xsd) der einheitliche XJustiz-Strukturdatensatz erstellt:
nachricht.gds.uebermittlung_schriftgutobjekte.0005005
Weitere Informationen zu der Zielstellung und den Rahmenbedingungen erhalten Sie in der zugehörigen Dokumentation (abrufbar unter: https://xjustiz.justiz.de/XJustiz-Module/index.php.)
• Die Einsendung der gesamten elektronischen Verwaltungsakte sollte möglichst in einem Gesamt-Dokument erfolgen.
• Um eine optimale Verarbeitung durch das Gericht zu erreichen, wäre es wünschenswert, wenn ein Inhaltsverzeichnis mit Lesezeichen beigefügt werden könnte.
• Alle Dokumente müssen lesbar sein.
• Verwendung des PDF-Formates, möglichst pdf/A
• Die gelieferten Dokumente sollten OCR-texterkannt oder texterkennbar sein.
• Qualifizierte elektronische Signaturen der Dokumente oder Verfügungen müssen darstellbar sein.
• Die finale Fassung eines versandten Dokuments muss deutlich erkennbar sein.
• Der Akteninhalt muss chronologisch darstellbar, sortierbar und nachvollziehbar sein.
• Meta-Daten sind in strukturierter Form zu übermitteln.
Für die Akte sollten nachfolgende Metadaten zur Verfügung gestellt werden:
Aktenzeichen
Dienststellenname
Familienname mit Vornamen und ggf. weiteren Namenszusätzen (z.B. akadem. Grade) sowie Firma bei jur. Personen Anzahl der Seiten der Akte (im PDF-Format)
Erstellungszeitpunkt der Akte für den Versand
Für die Dokumente innerhalb der Akte sollen folgende Meta-Daten übermittelt werden (wünschenswert ist die Übergabe einer strukturierten Inhaltsdatei (z.B. im XML-Format) zusätzlich zu jedem Dokument):
Dokumententyp (z. B. Schreiben, Bescheid etc.)
Anzahl der Seiten des Dokuments
Posteingangsdatum
Signaturersteller, Zeitstempel, Signaturstatus, Signaturprüfzeitpunkt
Laufende Nummer des Dokuments in der Akte
z. d. A. Datum
Dokumentendatum
Jahrgang
• Karten, Pläne, Fotos etc. sollten in Farbe eingescannt werden, wenn diese im Original vorhanden ist. Wenn Dokumente eingescannt werden, sollte dieses in der Ursprungsausrichtung (Hochformat oder Querformat) geschehen (Verwendung einer hohen Auflösung bei Zeichnungen, Plänen, Karten, Tabellen etc.).
Die elektronische Verwaltungsakte kann dem Gericht auf einem zugelassenen sicheren elektronischen Übermittlungsweg vorgelegt werden. Bitte beachten Sie dabei, dass beim elektronischen Rechtsverkehr über ein EGVP-Postfach eine Begrenzung von maximal 100 Anhängen mit einem Maximalvolumen von 60 MB (pro Nachricht) besteht.
Diese Empfehlung gilt nur für elektronisch geführte Verwaltungsvorgänge, die den rechtlich maßgeblichen Verwaltungsvorgang darstellen. Sofern die Verwaltungsvorgänge weiter in Papierform geführt werden, sind diese allein rechtlich maßgeblich und demnach im Original in Papierform vorzulegen.